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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Messtechnische Möglichkeiten / Grenzen mit Bordmitteln



ente
28.07.2021, 10:31
Immer wieder wurden hier messtechnische Themen wie Messen im Raum, TSP-Parametermessung, lineare / nichtlineare Verzerrungen, lineare Auslenkung, etc. diskutiert.
Ein Großteil dieser Themen sind normativ recht gut erfasst. Nachfolgend dazu einige Beispiele:

IEC 60268 Elektroakustische Geräte – Teil 5: Lautsprecher
IEC 60268 Elektroakustische Geräte – Teil 21: Akustische (ausgabebasierte) Messungen
IEC 60268 Elektroakustische Geräte – Teil 22: Elektrische und mechanische Messungen an Wandlern
IEC 62458 Elektroakustische Geräte – Elektroakustische Wandler - Messung von Großsignalparametern
IEC 62459 Elektroakustische Geräte – Elektroakustische Wandler - Messung der Aufhängungsteile

Die Inhaltsverzeichnisse der Normen sind hier einsehbar: https://webstore.iec.ch/publication/60560

In der IEC 60268-22 sind im Anhang A1 Kenngrößen von Lautsprechern und Anwendergruppen gelistet.

61749

Da die wenigsten von uns ein Klippel-R&D oder Klippel-QC im Hobbykeller stehen haben, die nachfolgende Frage:
Was davon ist nach eurer Auffassung für den ambitionierten Messknecht interessant und was davon ist mit "Bordmitteln" machbar?

Gruß
Heinrich

stoneeh
29.07.2021, 01:59
Den linearen Hub bzw. die Unregelmässigkeiten des Antriebs, bzw. deren Auswirkungen in der Praxis, erfasse ich bei Tieftönern durch akustische Verzerrungsmessungen in der CB. In der geschlossenen Box wird, wenn das Volumen nicht grade viel zu klein gewählt, der Treiber am unteren Ende des Übertragungsbandes immer mechanisch vor elektrisch limitiert sein wird.
Bei Mittel- und Hochtönern geht's eigtl. ähnlich - Verzerrungsgrade bei unterschiedlichen Pegeln akustisch messen.

Die elektrische Belastbarkeit / Powercompression muss ich nicht messen, wenn der Hersteller das für mich in einem genormten Verfahren (zB Belastbarkeit nach AES) getan hat.

TSP messen bei Klein- vs Grosssignal, kein Problem. Die entsprechenden Schaltungen kann sich jeder um nicht allzu grosses Geld selbst zusammenbasteln.

Messungen der Response bei verschiedenen Temperaturen habe ich ebenfalls bereits hinter mir. Bei PA-Material, das auch mal Outdoor steht, und dementsprechend über einen grossen Temperaturbereich möglichst gleich funktionieren muss. Warum man das als Privater bei Lautsprechern, die immer im quasi ident beheizten / klimatisierten Wohnraum stehn, machen würde, ist die Frage.

Generell kann man sag ich mal fast alles bis alles was für die private bis kleingewerbliche Anwendung relevant / interessant ist mit halbwegs erschwinglichen "Hausmitteln" messen / testen. Was im Raum btw. nicht bzw. schlecht geht macht man halt Outdoor. Ein schöner windstiller Tag und eine einsame Wiese, wenn man schon keinen Garten hat, ist schnell gefunden, und eine USV um ~50€ stellt eine wunderbare mobile Stromversorgung dar.

ente
02.11.2021, 13:30
Die ARTA Application Note AN07 ist mittlerweile schon ein paar Tage alt, sie stammt aus dem Jahr 2008. Die darin zitierte Norm IEC PAS 62458 wurde 2010 überarbeitet / erweitert und ist aktuell als IEC 62458:2010 verfügbar.

Microsoft Word - AN_07 - Estimation of Linear Displacement acc. IEC 62458-GerRev01.doc (artalabs.hr) (https://www.artalabs.hr/AppNotes/AP7-EstimationOfLinearDisplacement-IEC62458-GerRev01.pdf)

Der Inhalt der AN07 ist jetzt im Abschnitt 15 der Norm zu finden: "Von Geometrie und Leistungsfähigkeit abgeleitete Parameter". Darin sind drei Werte für die Auslenkung definiert:

Maximale Spitzenauslenkung X maxd
Das in AN07 beschriebene Messverfahren und die Kriterien entsprechen dem aktuellen Stand der Norm.

In der Norm heißt es: "Das Lautsprecherchassis wird durch eine lineare Superposition eines ersten Sinustones mit der Resonanzfrequenz f1 = fs und einem zweiten Sinuston f2 = 8,5 fs im Amplitudenverhältnis 4:1 angeregt. Der Gesamtklirrfaktor dt und die Harmonischen von f1 sowie die Modulationsverzerrungen d2 und d3 werden gemessen. Es wird empfohlen, den Schalldruck im Nahfeld des Lautsprecherchassis zu messen und einen Grenzwert von d = 10 % zu benutzen."

Antriebsgeometriebegrenzte Spitzenauslenkung X lin
Die Spitzenauslenkung Xlin beschreibt den Bereich der idealen Linearität beim Überstehen oder Zurückstehen der Schwingspulenwicklung gegenüber der Polplatte und ist definiert durch X lin = (h coil - h gap) / 2. Dabei ist hcoil die vom Hersteller angegebene Höhe der Schwingspulenwicklung und hgap die Luftspalttiefe. Die tatsächliche Verteilung des Magnetfeldes innerhalb des Luftspaltes und außerhalb (Randzonen) wird vernachlässigt.

Grenzauslenkung X mech
Die Grenzauslenkung Xmech beschreibt den maximalen Weg der Schwingspule ohne Berücksichtigung der Verzerrungen im Ausgangssignal. Dieser Wert kann von der Geometrie der bewegten Teile (Schwingspule, Aufhängung) abgeleitet werden, sollte aber durch praktische Prüfung nachgemessen werden, um sicherzustellen, dass der Lautsprecher ohne Beschädigung bis zu Xmech betrieben werden kann.
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Für die Ermittlung der maximalen Spitzenauslenkung X maxd ist ein Laser erforderlich. Diese sind zwar mittlerweile auf dem Gebrauchtmarkt relativ preiswert zu erstehen, aber dennoch wohl eher selten im Hobbykeller zu finden.

Mit einem kleinen Trick funktioniert das Verfahren jedoch auch halbwegs zuverlässig ohne Laser. Gemessen wird wie in AN07 beschrieben, lediglich "use displacement sensor on other channel" wird deaktiviert. Wichtig ist, dass das Messsystem kalibriert ist und der Verstärkungsfaktor des verwendeten Leistungsverstärkers korrekt ermittelt wurde. Nach der Messung werden die Daten als Csv-Datei exportiert.

62656
Csv-Export

Da als Indikator für die Auslenkung lediglich die Anregungsspannung zur Verfügung steht, wird noch eine Transfergröße benötigt um auf die Auslenkung zu kommen. Die Transfergröße kann mit Hilfe eines Simulationsprogramms wie z.B. VituixCAD oder AJ-Horn ermittelt werden. Mit den aktuellen TSP simulieren wir die Auslenkung auf der unendlichen Schallwand und bestimmen den "Auslenkungsfaktor" bei der Resonanzfrequenz in mm/V Rms (hier 0,55 mm/V Rms @ 52Hz)

62660
Auslenkung für 10 V Rms

Im Csv_Export wird nunmehr eine Spalte B eingefügt und die Spalte A (Voltage (V)) mit dem Auslenkungsfaktor multipliziert

62658
Erweiterter Csv-Export

und aus den Werten eine Grafik erstellt.
62659

Das Verfahren funktioniert recht gut und lässt gelegentlich bzgl. einiger Herstellerangaben Zweifel aufkommen.
That's it!

Gruß
Heinrich

PS: Demnächst mehr zur Ermittlung der Kraftfaktorbegrenzten Auslenkung X BL mit Bordmitteln.